10 Stadt Badezimmerspiegel –
Neulich im Malpensa-Express auf dem Weg vom Mailänder Flughafen in Richtung Innenstadt: Ein junger Italiener, vielleicht Mitte zwanzig, sieht zu gut aus für die Schaffner-Uniform, in der er steckt. Von den Schultern abwärts trägt er den Einheitslook. Sein Blick aber erzählt von Individualität. Genauer: seine Brauen, die über den dunklen Augen einen lieblich geschwungenen Bogen schlagen, wie eine Welle, die mit etwas Wucht auf den Strand
trifft und dann auf dem Sand ausplätschert.

Jennifer Wiebking
Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Er hat sich seine Augenbrauen in Formgezupft, wie es sonst nur Frauen machen würden. Mit dieser Idee kann man viele Männer zwar heute immer noch verjagen, ähnlich wie vor zehn Jahren, als David Beckham mit seinem Hang zur Metrosexualität und seinen ebenfalls hübsch in Form gezupften Augenbrauen auffiel. Und dennoch: Männer wollen zwar nicht aufgehübscht aussehen, es wird ihnen aber langsam bewusst, dass ein gepflegter Auftritt
von Vorteil sein kann.
Auch dafür muss man sich mit einer Pinzette vor den Badezimmerspiegel stellen. Es braucht ein bisschen Überwindung, bevor sich der Mann daran macht, seine Augenbrauenpartie zu säubern. „Die Männer wollen nicht feminin aussehen“, sagt Patricia Hannappel vom Unternehmen Senzera, das mehr als 30 Waxing-Filialen in Deutschland unterhält. Dennoch seien 15 bis 20 Prozent der Kunden mittlerweile männlich. Seit Gründung von Senzera im Jahr 2005 werden es nach ihren Worten stetig mehr.

Enthaarung war während des Erfolgs der Serie „Sex and the City“ noch ein ziemlich weiblich konnotierter Eingriff. Nun könnte es, ob im Studio oder zu Hause, langsam so normal werden wie Haareschneiden. Die fast 20 Prozent der Senzera-Kunden, die nicht weiblich sind, lassen sich Rücken, Brust, Bauch, Achseln, Intimbereich und Augenbrauen wachsen. „Der Trend geht dahin, an einem gepflegten Körper kaum Haare zu haben“, sagt Patricia Hannappel. Klar, dass Augenbrauen, die wild in alle Richtungen wachsen, immer weniger dazu gehören.
„Ich gehe mittlerweile auf jeden Kunden zu und frage, ob er die Augenbrauen so behalten möchte“, sagt Klaus-Dieter Kaiser, der zwei Friseursalons in Lüneburg unterhält. Er wird vom Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks als jemand empfohlen, der ein modisches Gespür für Herren hat. Und wirklich: Das Bedürfnis nach gepflegt aussehenden Augenbrauen ist nicht nur in den Metropolen dieser Welt ein Thema.

Selbst in Lüneburg sind die Kunden überraschend offen: „Auch wenn man sagt, dass nur 33 Prozent der Männer täglich duschen: Man kann doch beobachten, dass das Bewusstsein für Pflege zunimmt“, sagt Kaiser. „Kosmetik
ist auch bei uns kein Tabuthema mehr, die Männer cremen und sind parfümiert“, meint der Friseurmeister. Jüngere Männer ließen sich die Augenbrauen zupfen, ältere mit der Schere stutzen.
Die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau löst sich langsam auf. Da könnte es den Männern dämmern, dass sie bei einer toll aussehenden Frau in Pumps, mit geschminkten Lippen und gepflegten Nägeln vielleicht nicht die besten Karten haben werden. Jedenfalls dann nicht, wenn sie selbst als Urzeitmenschen in einem schnell übergeworfenen Anzug aufkreuzen, der auch noch schlecht sitzt.