9 Arbeits Regal Zum Klemmen –
Ein Papablog von Sven Broder

Die Kunst besteht darin, sich ja nicht erwischen zu lassen.
Die Selbstbefriedigung ist die Wiege der männlichen Durchtriebenheit – aber auch der Quell seiner Cleverness. Denn es ist doch erstaunlich: Millionen von Männern tun es, manche täglich, andere wöchentlich, gleichwohl kenne ich nicht eine Handvoll, die von ihren Frauen oder gar Kindern je dabei erwischt worden wären. Ich meine: Welch kriminelle Energie, welch Heimtücke, Hinterlist und Heuchelei, aber auch taktische Raffinesse sind dafür nötig! Als spotte Papi der grassierenden Kontroll- und Überwachungswut und der Enge seiner Vierzimmer-Familienwohnung ist die Onanie das grosse Tabu seines Daseins geblieben. Der Mann. Im Dunkeln. Vor dem Computer: Das ist die letzte Bastion der männlichen Privatsphäre. Und er verteidigt sie wie seinen Augapfel. Stets aufs Neue getrieben von der einen und alles entscheidenden Frage: Wie werde ich nicht mit heruntergelassener Hose erwischt?

Das Fundament dafür wird bereits im Jugendalter gelegt. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern sich darüber Gedanken machen. Es gibt zum Beispiel Jungs wie Patrick. Patrick, 14 Jahre alt, war es leid, ständig Hand anzulegen. Am liebsten hätte er natürlich mit einem Mädchen Sex gehabt, doch die interessierten sich (noch) nicht so für ihn wie er sich für sie. Eines Tages kam ihm die gloriose Idee, er könnte doch ein umgestülptes Paar schwarze Socken zwischen zwei Bücher klemmen und dieses Paar Socken dann zweckentfremden, freihändig, vor und zurück, fast wie richtig.
Die katholische Kirche hat Unrecht. Heimlichtuerei macht schlau: Ben Stiller in «There’s Something About Mary».
Gedacht, getan. Natürlich war das Lustempfinden letztlich geringer als erhofft. Doch damit konnte Patrick umgehen. Das Dumme war, dass – just als er mit entblösster Lende das Büchergestell rammelte – sein Vater hereinplatzte. Hoppla! Entschuldigung. Und als wäre das der Erniedrigung nicht genug, fuhr ihn sein Vater tags darauf auch noch zur Schule. Es sei die schlimmste Autofahrt seines Lebens gewesen, meinte Patrick, als er mir Jahre später davon erzählte. Darüber geredet haben er und sein Vater nie.

So traumatisch das Erlebnis war, es war Patrick auch eine Lehre – eben eine Lehre in Sachen Planung und Durchführung von riskanten Manövern. Nach eigener Aussage wurde Patrick seither nie mehr beim Onanieren erwischt. Und auch sein Leumund und Strafregisterauszug sind weitgehend unbefleckt geblieben.
Daraus könnte man nun ableiten, Vater tue gut daran, sich lehrmeisterhaft vor der Tür von Sohn (oder Tochter) auf die Lauer zu legen, um im dümmsten Moment einzutreten. Das wäre aber sicherlich falsch. Taktisches Verständnis lässt sich nämlich auch schulen, ohne den Sohn dafür mit der Moralkeule niederzustrecken. Meist riechen es Eltern ja sehr genau – so wie es schon unsere Eltern gerochen haben – wann und wo der Sohnemann gerade heimlich mit der Liebe an und für sich beschäftig ist. Und so wie uns unsere Eltern (meist) in Ruhe liessen, lassen wir auch unsere Kinder in Ruhe.
Und sollte sich unser Patrick doch einmal allzu tölpelhaft und naiv anstellen und, von wegen Cleverness und taktischer Raffinesse, ein Wink mit dem Zaunpfahl guttun, dann statuiere man ein Exempel der sanften Art: Melden Sie Ihr Kommen frühzeitig an, zum Beispiel durch stampfende Schritte. Innert Sekunden wird Ihrem Patrick das Blut aus der Lende und das Adrenalin in den Kopf schiessen. Das wird ihm eine Lehre sein, ist ihm doch gerade noch einmal genug Zeit geblieben, um sich die Hosen hochzuziehen.

Sven Broder, 35, ist Redaktor und Kolumnist beim Beobachter. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern (7 und 3 Jahre) und lebt in Zürich. Der abgedruckte Text stammt aus seinem eben erschienenen Buch: «Papa steht seinen Mann». Weitere Infos zu Person und Buch unter folgendem Link:
http://www.beobachter.ch/buchshop/zusammenleben-familie/shop-produkt/papa-steht-seinen-mann/